Der kognitive Verfall im Alter stellt eine große gesellschaftliche Belastung dar. Studien haben ergeben, dass das Proteostase-Netzwerk, das dazu dient, Proteine richtig zu falten, mit zunehmendem Alter beeinträchtigt ist. Diese fehlgefalteten Proteine könnten zur Demenz beitragen.
Unser Mitglied Dr. M- P. Jaumann hat den Artikel von Tarbox, Branch und Fried über Proteine mit kognitiven assoziierten Strukturveränderungen (1, 2) wie folgt kommentiert:
Störungen der Protein Faltung. Neue Aspekte und mögliche Folgen.
Den Nobelpreis 1974 für Physiologie bzw. Medizin erhielt u.a. George PALADES mit wegweisenden Forschungen in seinem zellbiologischen Labor am Rockefeller Institute in New York. Der gebürtige deutsche Günther BLOBEL (Nobelpreis 1999) hat dort viele Jahre gearbeitet, auf diesen Erkenntnissen aufgebaut, diese weiterentwickelt und dabei auch zellbiologisch wichtige Entdeckungen gemacht.
Seine wegweisenden Erkenntnisse der topogenen Signale in den Zellen haben das Verständnis für einige medizinisch wichtige Mechanismen ermöglicht. Diese topogenen Signale „steuern“ in der Zelle die Proteine, damit diese am richtigen Platz ankommen und dort auch richtig eingebaut werden.
Die sogenannten Signalsequenzen bestehen aus einer Kombination von Aminosäuren, die mal am Ende eines Proteins sitzen, manchmal in der Mitte, oder aber am C–Terminus. Die Chaperones* sorgen dafür, dass für die Rezeptoren die Signalsequenz erkennbar wird. Diese Chaperones „begleiten“ die neu gebildeten Proteine bis zur endgültigen 3–D–Struktur (das ermöglicht Wechselwirkungen mit anderen Faktoren auf diesem Weg!).
Im Artikel „Prionen und ZNS– Erkrankungen“ (1999) schreiben D. RIESNER und K. POST über das zelluläre Protein (PRᶜ) und das pathologische, krankmachende Scrapie– Protein (PRˢᶜ). Unklar sei noch die Funktion des menschlichen Prions.
Im Jahr 1997 erhielten Stanley PRUSINER und Charles WEISMANN den Nobelpreis für die damals formulierte Theorie „Protein– only–Hypothese“. Diese beinhaltet, dass bereits eine Konformationsänderung der normalen zellulären, gesunden Struktur des Prions (PRᶜ) ausreicht dieses in das pathologische, krankmachende Scrapie Prion (PRˢᶜ) umzuwandeln. Das ist der entscheidende Schritt und setzt die Vermehrung der pathologischen Prionen in Gang.
Mit der Entdeckung der Prionen (Prion = infectious protein) hat er eine bis dahin unbekannte Art von Pathogenen entdeckt, die weder Bakterien, Viren noch Pilze sind. Prionen sind falsch gefaltete Proteine, die sich in dieser abnormalen Form vervielfältigen können. Allein der Kontakt der Proteine ist schon ausreichend. Das macht diese pathologischen Proteine höchst infektiös (Martin KAATZ et al 2012).
Wenn sie sich ansammeln oder akkumulieren dann können Erkrankungen wie Demenz, Alzheimer oder andere neurodegenerative Erkrankungen bei Menschen und Tieren die Folge sein.
Am 24. Nov. 2000 wurde die erste deutsche BSE-erkrankte Kuh in einem Hamburger Labor erkannt. Die letzte von 260 Gewebeproben aus dem Gehirn von Rindern war positiv (spätere Recherchen zeigten, dass diese Kuh als Kalb Milch-Ersatzprodukte als Nahrung bekommen hatte, sprich Tiermehl und aus Schlachtabfällen gewonnene Eiweiße waren diesen Milch- Produkten zugesetzt).
Im Januar 2001 hat die lange geplante Veranstaltung zum Thema „BSE - eine Gefahr für die Bevölkerung?“ in der kassenärztlichen Vereinigung Nordwürttemberg in Stuttgart stattgefunden. Hochkarätige Experten aus Europa waren als Referenten zu Gast (Adriano AGUZZI, Detlef RIESNER, Steven DEALLER sowie der Staatsminister Prof. Konrad BEYREUTHER). In einem umfangreichen Artikel berichtete das Deutschen Ärzteblatt vom 2. März 2001. Damals war die Einschätzung bzgl. Ursachen, Ausbreitungswegen noch unklar. Neben dem Thema fehlgefalteter Proteine und Prionen blieb die Fragen offen: was triggert die Fehl-Faltung der Proteine? Gibt es gemeinsame Schritte im Metabolismus der Zellen?
So hat AGUZZI noch 2003 in Science die Frage aufgeworfen – Alzheimer und Prion- Krankheiten könnten unterschiedlicher nicht sein. Aber trotz alledem haben sie viele Gemeinsamkeiten im Metabolismus der neuronalen Nervenmembran: das Amyloid- Vorstufen-Protein APP beim Alzheimer und das normale zelluläre Prionen-Protein bei den Prionen-Erkrankungen.
Beide Substanzen sind mit den Krankheiten verknüpft. Wir wissen aber nicht, warum und was deren Akkumulation und Neuro-Toxizität in Gang setzt. Könnten die Ursachen in Mikro- und Nanopartikeln in Luft oder Nahrung gefunden werden, die mit einer Vielzahl von Fremdstoffen belastet sind? Oder eher in Chemikalien wie zum Beispiel Organo-Phosphat-Pestizide, die in England im großen Stil den Rindern am Rücken (Wirbelsäule) aufgetragen wurden?
Im Jahr 2015 berichteten AGUZZI und Mitarbeiter darüber, dass die RNA-Moleküle von besonderem Interesse seien und ein interdisziplinäres Team dabei sei, „das Geheimnis der Prionen“ zu knacken. Er wolle es endlich schaffen, im Reagenzglas das normale Prionen Protein in das pathologische Prion zu überführen.
Dann die große Freude: Erstmals werden die Wirkungen der Prionen und Proteine auf die Nerven von AGUZZI, KÜFFER und Mitarbeitern im Detail nachgewiesen (Nature 2016).
Ein wichtiger Effekt ist, dass das zelluläre „normale“ Prionen-Protein, hergestellt von den Neuronen, an den Schwann-Zellen andockt (Gpr 126). Agieren das Prion–Protein und der Rezeptor gemeinsam erhöht sich der Botenstoff (cAMP), der für das Wohlerhalten und den Schutz der Nervenhüllen essenziell ist.
Die Auswirkungen von z.B. Pestiziden beschreibt Shweta DEVI in Chemosphere 2020. Es zeigt sich bei den Untersuchungen, dass sich die Pestizide (Rotenone, Chlorpyrifos) fest an das metabolische Protein MDH (Malat–Dehydrogenase) binden, die Faltung der Proteine stören und weitere Schäden verursachen. Diese zytotoxischen und oxidativen Schäden vermindern die Zellfunktionen (z.B. der Mitochondrien). Das erklärt das erhöhte Risiko für Neurotoxizität und neurodegenerative Erkrankungen bei Exposition gegenüber diesen Pestiziden. Gedächtnis und die Lernfähigkeit werden dosisabhängig gestört und vermindert.
Der angefügte aktuelle Artikel von Stephen FRIED, John-Hopkins-Universität in Baltimore, wurde im Deutschen Ärzteblatt vom August 2025 besprochen. Von besonderem Interesse ist, dass bei den Tierversuchen über 200 verschiedene, falsch gefaltete Proteine gefunden wurden. Unklar ist noch, was daraus folgt.
Sicher ist: Es waren wesentlich mehr als erwartet.
Ebenfalls sicher: Diese Ergebnisse belegen die Diskussionen, die beim Symposium in Stuttgart 2001 geführt wurden. Eine Vielzahl verschiedener Substanzen beziehungsweise von Fremdstoffen in den Zellen begünstigt Störungen der Protein-Faltung. Das könnte die zelleigenen Kontrollen überfordern und damit die Entsorgung solcher Proteine ggf. verhindern.
Die Autoren FRIED et al. stellen fest, dass die Annahme, die fehlgefalteten Proteine seien nur dann störend, wenn sie zu Amyloid verklumpten, falsch sein könnte: „wir glauben, dass viele Proteine fehlgefaltet sein können, keine Amyloide bilden und trotzdem problematisch sind“ sagt FRIED.
Dr. M. P. Jaumann, Göppingen
Prof. Dr. H. Schweisfurth, Cottbus
1. https://www.aerzteblatt.de/news/demenz-deutlich-mehr-fehlgefaltete-proteine-als-bekannt-konnten-zu-der-erkrankung-beitragen-d56cfe23-30b2-4312-9b2b-5d0933f46b77
2. Science Advances 2025, DOI: 10.1126/sciadv.adt3778.
* In der Molekularbiologie werden unter „Chaperones“ Proteine bezeichnet, die in Zellen für die korrekte Faltung anderer komplexer Proteine sorgen.