Wie Kunststoffe Schilddrüse, Gehirn und Fortpflanzung beeinträchtigen

Wie Kunststoffe Schilddrüse, Gehirn und Fortpflanzung beeinträchtigen

Plastik – ein Fortschrittsprodukt mit massiven Nebenwirkungen
Es ist mittlerweile bekannt: Plastik schadet der Umwelt. Laut UN werden jährlich 400 Millionen Tonnen produziert. Wir sollten es vermeiden oder recyceln. 

Als die ersten Kunststoffe vor über 150 Jahren erfunden wurden, sah man hingegen nur die Vorteile dieses neuen Materials. Verständlich, da es in vielen Bereichen eine günstigere und stabilere Alternative darstellte. Bruchsicher, leicht, nach Belieben weiter verarbeitbar in Farbe und Form. Es hat vieles erleichtert, auch in der Medizin, wie Infusions- und Beatmungsschläuche, Spritzen, Inkubatoren oder Verpackungsmaterial von Medikamenten. Kunststoffe galten lange als innovative Alleskönner. Leider hat diese Erfindung, neben Erleichterungen, auch neue Probleme geschaffen, die damals nicht absehbar waren. Die schädlichen Folgen der Kunststoffe für uns und die Umwelt werden aber immer deutlicher. Die Auswirkungen von Plastik auf die menschliche Gesundheit stellen ein relativ junges Forschungsfeld dar, nach aktuellem Stand sind die Auswirkungen aber bereits jetzt alarmierend.

Der erste Kunststoff wurde 1862 erfunden, heute werden über 200 verschiedene Kunststoffe verwendet, in allen Lebensbereichen. Kunststoffe bestehen aus Erdöl, zusätzlich werden Chemikalien beigemischt, z. B. Phthalate, um harte Kunststoffe oder Bisphenole, um weiche Kunststoffe zu erhalten.

Laut Umweltbundesamt gibt es etwa 100.000 verschiedene Chemikalien weltweit, wobei sich die Zahl 2019 verdreifacht hat. Für ein Drittel dieser Stoffe fehlen bisher frei zugängliche Daten.

Die Überprüfung der Unbedenklichkeit ist problematisch, denn Kunststoffe gelten in der Industrie, solange als unbedenklich, bis Forscher das Gegenteil beweisen können. Derartige Studien durchzuführen wäre aufgrund der globalen Umweltbedingungen schwer umsetzbar, da es eine völlig frei von Chemikalien lebende menschliche Population als Kontrollgruppe nicht mehr gibt. Ganz abgesehen davon wäre so ein Studiendesign unethisch.

Kunststoffe sind überall

Die Laborstudie von 2019 der Forschungsgruppe PlastX vom Institut für sozial-ökologische Forschung https://www.isoe.de/forschung/nachwuchsgruppe-plastx/ zeigt, dass viele Alltagsgegenstände wie Joghurtbecher, Shampoo- oder Trinkflaschen aus einem regelrechen Chemiemix bestehen. In drei von vier untersuchten Produkten, waren Substanzen enthalten, die im Laborversuch Zellen schädigten, viele Chemikalien konnten zudem auch nicht identifiziert werden.

Vor allem die weitgehend unerforschte Kombination der Stoffe, die jeweils für sich unbedenklich sind und unter den Grenzwerten liegen, können schwere toxische Schäden verursachen, bestätigt die dänische Toxikologin Sofie Christiansen.

Kunststoffe sind in allen Lebensbereichen im Einsatz und ubiquitär vorhanden. Sie sind bei weitem nicht nur ein Problem der Meere. Laut dem Leibnitz-Institut in Potsdam ist der Anteil an Plastik im Erdreich unerforschter, aber möglicherweise das größere Übel, da wir es mit der Ernährung und dem Grundwasser wieder aufnehmen und das Mikrobiom des Erdreichs damit angereichert wird. Es ist also nicht verwunderlich, dass sich Mikroplastik in unserem Körper findet. Siehe dazu auch die niederländische Biomonitoring-Studie, die zeigt, dass Polymere von Mikroplastikartikeln mittlerweile im Blut nachweisbar sind. https://www.dguht.de/nachweis-von-mikroplastikpartikel-im-menschlichen-blut/

Entwicklungsstörungen in einem neuen Licht: Kunststoffe werden in den 1990ern erstmals als endokrine Disruptoren erkannt

Aber was macht die Kunststoffe so gefährlich? Prof. Ana Soto, Professorin für Pathologie und Biologie (Immunologie) von der Tuffs University Boston, School of Medicine war eine der ersten Wissenschaftlerinnen, die sich mit Kunststoffen und ihren Auswirkungen auf den menschlichen Organismus befasst hat und 1991 die östrogenartige Wirkung von Kunststoffen entdeckt hat.

Als sie im selben Jahr ihre Ergebnisse auf einem Kongress in den USA vorstellte, berichteten auch Forscher aus anderen Disziplinen von ähnlich unerklärlichen Dingen in der Fortpflanzung der Tiere: Zwitterbildung, gestörte Fortpflanzung, reduzierte Spermienqualität. Zum ersten Mal formulierten Forscher den Verdacht, dass Chemikalien aus Kunststoffen unser Hormonsystem beeinträchtigen könnten, seitdem gibt es die Bezeichnung endokrine Disruptoren. Darunter versteht man vor allem die in Kunststoffen enthaltenen Weichmacher. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass neue Krankheitsbilder und eine veränderte Entwicklungsphysiologie mit Kunststoffen im Zusammenhang stehen, wie etwa die verfrühte Pubertät oder Unfruchtbarkeit. Vor allem das in den 1990-ern aufgetauchte Mikroplastik ( 1mm-1µm), das zu den “Emerging Contaminants” zählt und dann etwas später das Nanoplastik ( kleiner als 1 µm) gilt aufgrund seiner geringen Größe als besonders gefährlich, je kleiner die Plastikpartikel sind, desto leichter können sie in Körperzellen eindringen.

Plastik zersetzt sich nicht vollständig, sondern wird nur kleiner und verbleibt als Nanoteilchen in der Umgebung, mit ungewissen Auswirkungen.

Der dänische Reproduktionsmediziner Prof. Anders Juul, konnte in einer groß angelegten Studie von einem Zeitraum über 15 Jahren nachweisen, dass immer mehr Mädchen früher in die Pubertät kommen und dass dies im Zusammenhang mit Kunststoffen aus der Umgebung steht. In der Studie wurden Phthalate und Phthalat-Metabolite in jeder Urinprobe der 1000 Mädchen gefunden, mit denen die Langzeitstudie durchgeführt wurde.

Blickt man auf einen Zeitraum von ca. 100 Jahren hat sich die Pubertät um etwa 4-5 Jahre nach vorne verschoben, Kinder kommen immer früher in den physiologischen Prozess der Pubertät. Als Hauptgrund gelten die als sogenannte endokrine Disruptoren erkannten Weichmacher in Kunststoffen. Kunststoffe wirken östrogenartig und stören das sensibel eingestellte Hormonsystem.

Außerdem konnte Prof. Juul beweisen, dass sich die Spermienqualität in einem Zeitraum von 50 Jahren halbierte- aufgrund dieser kurzen Zeitspanne kann eine genetische Ursache ausgeschlossen werden. Das weist vielmehr auf gegenwärtige Umweltbedingungen hin.

Die gezielt östrogenartige Wirkung von Plastik, betrifft vor allem die zukünftigen Generationen, wir kennen die Konsequenzen noch nicht, die es auf unsere Art haben wird, sagt Prof. Juul.

Bestimmte Krankheitsbilder werden durch Östrogenüberschuss begünstigt, wie etwa Brustkrebs oder Unfruchtbarkeit, auch bei Männern ist zuviel Östrogen nicht gut: Krebs- und Thromboserisiko steigen zum Beispiel, auch die Gynäkomastie, die Vergrößerung der Brustdrüsen beim Mann, wird in diesem Zusammenhang diskutiert. Es ist daher nicht auszuschließen, dass die heutigen Kinder diesen Erkrankungen viel stärker ausgesetzt sein werden.

Die gesundheitlichen Belastungen müssen heute in einer größeren Komplexität gedacht werden.

Schilddrüsenerkrankungen und Gehirnentwicklung

Neben den Reproduktionsorganen und dem Gehirn, haben Kunststoffe auch einen nachweislich negativen Einfluss auf die Schilddrüse, die viele vitale Körperfunktionen steuert. Barbara Demenaix, Mitglied der Académie des technologies, erforscht seit Jahrzehnten den Einfluss von Mikroplastik und Chemikalien auf die menschliche Physiologie und insbesondere auf die Schilddrüsenfunktion. Sie vertritt die Theorie, dass hormonaktive Substanzen die Schilddrüse negativ beeinflussen und in der Folge langfristig zum Rückgang des Intelligenzquotienten und zur Zunahme von Entwicklungsstörungen wie Autismus führen. Sie bestätigt damit die Forschung der dänischen Umweltepidemiologin Kolliensen.

Demenaix drängte vor Jahren schon zur Diskussion um die öffentliche Gesundheit am Beispiel der Plastikröhrchen, die vor ein paar Jahren noch überall erhältlich waren. Wir konsumieren enorm viele Dinge, die in oder mit Kunststoffen verpackt sind, und jedes Mal kann eine östrogenartige Substanz freigesetzt werden.

Die Schilddrüse reagiert sensibel auf Umwelttoxine. Sie steuert unter anderem auch die Gehirnentwicklung. Die kindliche Schilddrüse im Mutterleib produziert kein eigenes Hormon, sondern ist auf das der Mutter angewiesen. Eine gestörte Schilddrüsentätigkeit der Mutter kann sich während der Schwangerschaft extrem negativ auf das Ungeborene auswirken. Die menschliche Plazenta ist permeabel für Mikroplastikpartikel. Weitere Untersuchungen sind daher unbedingt notwendig, um das Risiko durch Mikroplastik für die menschliche Gesundheit abzuschätzen.

So ist das Ungeborene den meisten Stoffen, die in den mütterlichen Kreislauf kommen, relativ schutzlos ausgeliefert. Werden dadurch Entwicklungsstörungen begünstigt? Demenaix hat erdrückende Beweise dafür, dass der massive Anstieg der neurologischen Erkrankungen mit der Zunahme an Umweltgiften zusammenhängt, vor allem mit den endokrinen Disruptoren, die die Entwicklung des Gehirns empfindlich stören.

Die Umweltepidemiologin Tina Kolliensen konnte auch in einer Studie belegen, dass der Anstieg von ADHS und Autismus unter Kindern und damit die starke Beeinträchtigung der Intelligenz durch Kunststoffe hervorgerufen werden kann und begünstigt wird. Das Gehirn ist ein großes Organ mit vielen Hormonrezeptoren, es reagiert sehr empfindlich auf Störungen durch Mikroplastik und die darin enthaltenen Chemikalien, die nicht nur die Hormonbalance stören, sondern auch die Zellkommunikation hemmen können. Im Gehirn hat das fatale Folgen, neurologische Erkrankungen sind davon gekennzeichnet.

Plastikfreie Zonen schaffen ist der Anfang!

Das Plastik-Problem ist sehr schwer zu kontrollieren. Immerhin hat die EU reagiert und bereits 2021 die neue Produktion von Wegwerfartikeln aus Plastik untersagt. Der Empfehlung der Europäischen Chemikalienagentur folgend (ECHA) hat die EU zudem den Verkauf und Einsatz von Mikroplastik ab Oktober 2023 verboten.

Das Verbot ist für kleinere Produkte wie Glitter- oder Peelingartikel und Spielzeug bereits ab dem 15.Oktober 2023 inkraftgetreten, komplexere Mikroplastikquellen wie Sportanlagen oder Kunstrasen sollen dagegen in den nächsten 8 Jahren verboten werden, was den Betreibern Zeit für Alternativlösungen ermöglichen soll. Immerhin, das ist ein Fortschritt!

Für unser eigenes Wohlbefinden ist es wichtig zu untersuchen, wie Kunststoffe unsere Gesundheit beeinflussen und welche schädlichen Einflüsse sie auf uns haben. Wenn wir uns dessen bewusster werden, können wir die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um unseren Plastikverbrauch zu stoppen oder besser zu kontrollieren.

Gesundes Kochen, Wohnen & Schlafen - durch ein plastikfreies Zuhause

In der Küche sollte man alle Kunststoffutensilien, wie Pfannenwender, Kochlöffel, Teigschaber oder Salatschüsseln, Reiben etc. durch Alternativen aus unbehandeltem Holz, Glas, Porzellan oder Metall austauschen.

Plastikgeschirr, inklusive Melanin, sollte bei Kindern vermieden werden, Brotboxen und Trinkflaschen aus Plastik austauschen und keine Plastikröhrchen verwenden. Achtung, auch bei Pfannen ist Vorsicht geboten durch die Beschichtung, die PFAS enthalten, aktuell in den Medien. Wenn man die Beschichtung mit der zeit durch spitzes Besteck aufkratzt, dringen die Chemikalien in das Essen. Auch Coffee-to-go-Becher sind damit beschichtet, sowie die meisten Eisbecher.

Bei der Kleidung sollte man mehr und mehr auf natürliche Fasern setzen, Polyester etc. vermeiden und nach und nach reduzieren. Outdoor-Kleidung enthält oft viel davon und ist schwer abbaubar in der Umwelt. Daher ist es sinnvoll diese zu recyceln, d.h. gebraucht zu kaufen oder weitergeben.

Im Kinderzimmer ist es besonders wichtig auszumisten und die Kinder von den Plastikspielsachen regelrecht zu befreien oder zumindest stark zu reduzieren. Je nach Alter der Kinder kann man das Thema auch mit dem Kind besprechen und zusammen eine Veränderung gestalten. Glücklicherweise haben ja schon viele Kindergärten und Schulen das Thema “plastikfrei” aufgenommen und unsteten bei diesem Thema. Vom Schleich-Pferd über Playmobil, Lego, Spielautos, Puppen, etc.findet sich sehr viel Kinderspielzeug aus Plastik. Natürlich kann man den Kleinen ihre liebgewonnenen Spielsachen nicht einfach wegnehmen, aber man sollte darauf einwirken und Alternativen anbieten und nur einige wenige behalten. Vor allem sollte man darauf achten, dass Kleinkinder und Säuglinge Plastikspielsachen nicht dauernuckeln und Plastikanhänger am Kinderwagen, Plastikrasseln oder Steckspiele, die gerne auch im Mund landen zu kontrollieren und am besten ganz auszutauschen, damit Kinder sich von Anfang an gar nicht erst daran gewöhnen.

Wohnen - Schauen Sie sich zu Hause um, welche Möbel haben Kunststoff-Fronten, woraus bestehen die Teppiche, Stühle und Tische etc.? Moderne Teppiche sind meist mit Flammschutzmitteln behandelt, ebenso wie Sofas, Polster, Matratzen, die zudem oft aus Polyester, oder Polyestergemisch also kunststoffhaltigen Fasern bestehen. Da man nicht einfach alles austauschen kann, ist es ratsam oft zu lüften und zumindest Decken aus natürlichen Materialien auszulegen auf Sofas und nichts Neues aus Kunststoffen anzuschaffen oder auch mal Gebrauchtes zu kaufen.

Am Arbeitsplatz ist zu beachten, dass wir über den Computer und das Zubehör Kontakt zu Kunststoff haben, inklusive Arbeitsplatten und Einrichtung und ebenso hier auch Ess- und Trinkgeschirr aus Plastik.

Es ist möglich, den Anteil an Plastik, mit dem man täglich Kontakt hat, nach und nach zu reduzieren und ein Bewusstsein dafür zu entwickeln. Es erfordert den Willen dazu, aber ihr Beitrag wird sich lohnen!

Die DGUHT bietet auch eine OHNE PLASTIK-Prüfung für Hersteller an, die wir als gemeinnützige Plastik-Frei Zertifizierung kostenfrei anbieten. Bei Interesse kontaktieren Sie uns bitte unter folgendem link https://www.dguht.de/plastik-frei-pruefung/

Bei weiteren Fragen oder Anregungen wenden Sie sich gerne an uns. Wir freuen uns über einen regen Austausch! Die DGUHT wünscht Ihnen und Ihrer Familie eine gute Gesundheit.

Diana Adamovic-Egle
Mitglied im Arbeitskreis Lebensmittelqualität


Literatur

Demeneix Barbara, “Toxic Cocktail: How Chemical Pollution is poisoning our Brains”, Oxford University Press, 2017

Demeneix Barbara, “Losing our minds- How environmental Pollution impairs Human Intelligence and mental Health”, Oxford University Press, 2014

Soto Ana, et.al.: disruptors and reproductive health: the case of bisphenol-A, 2006 https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/?term=Soto+AM&cauthor_id=16781053

Juul, Anders, et.al.: Environmental factors in declining human fertility, 2021

Juul , Anders, et.al.: Male Reproductive Disorders and Fertility Trends: Influences of Environment and Genetic Susceptibility, 2016

PlastX, Studie der interdisziplinären Forschungsgruppe ( Institut für sozial-ökologische Forschung, Max-Planck-Institut für Polymerforschung, Goethe Universität, Frankfurt a.M.)
Benchmarking the in vitro toxicity and chemical composition of plastic consumer products. Lisa Zimmermann, Georg Dierkes, Thomas A. Ternes, Carolin Völker, Martin Wagner. Environ. Sci. Technol. doi.org/10.1021/acs.est.9b02293

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